RUHR NACHRICHTEN Ruhr Festival

RUHR NACHRICHTEN
August 09, 2003

Mit Verstand ins Virtuosen-Land
Konzert: Oleg Marshev – cool am Klavier

 

Essen. Alles unter Kontrolle: Der russische Pianist Oleg Marshev bewahrt den Uberblick und einen kuhlen Kopf. Das Risiko, sein hochvirtuoses Programm als klavieristischen Seiltanz zu gestalten, frei und unbandig zu sturmen und zu drangen, geht er nicht ein. So begegnen wir einem nahezu perfekten Techniker, dem gerade deshalb kleine Ungenauigkeiten unterlaufen, weil er seiner Perfektion nicht richtig traut.

Marshevs Auftritt beim Klavier-Festival Ruhu, im Essener Folkwang-Saal, ist gleichwohl von verbluffender Wirksamkeit. Wer mit Liszts Dante-Fantasia beginnt – die andere als Programmhohenpunkt oder Zugabe spielen -, setzt ein klares Ausrufezeichen. Der Solist demonstriert seine Kraft und Geschmeidigkeit, mit der er eine brodelnde Hollenfahrt ebenso inszeniert wie ein beinahe tes Innehalten. Marshev nimmt Liszt ernst, erweist aber auch den etwas verspieltren Virtuositaten eines Carl Czerny, Emil von Sauer und Paul Pabst hinreichende ehre. Die “Ricordanza”- Variationen von Liszt-Lehrer Czerny sind dabei weit mehr als die verhassten Fingerfertigkeits-Torturen, von Sauers “Wind” und “Spieluhr” erweisen sich als hubsch glitzernde Petitessen. der Solist gewinnt ihnen indes ein wenig zuviel Erdenschwere ab, der Respekt vor den Meistern verbaut den Weg zu augenzwinkerndem Esprit. Und Pabsts “Dornroschen” – Paraphrase, ganz im Sinne Liszts, wirkt bei aller Virtuositat doch leicht zuckrig.

Marshevs Bemuhen, dies – zugegeben brillante – Blendwerk quasi zu adeln, hat etwas Gekunsteltes. Weit besser, weil ehrlicher, setzt Prokofjews “Visions fugitives” – Ausdrucksvielfalt in sensitive Klangfelder um. Hier ist alles von Bedeutung, die bisweilen kecke Motorik ebenso wie die impressionistisch anmutenden Traumgebilde.

Dass der Pianist mit dem Verstand, nicht aus den Bauch heraus interpretiert, macht den Weg frei fur hohe Transparenz und feinste Klangnuancen. Das gilt auch fur Prokofjews 6 Sonate. Doch die Gewzlttatigkeiten des Allegros, die kompomisslose Attacke sind Marshevs Sache nicht. Da blockiert der Intellekt die stete Kontrolle, das freie, enthusiastische Spiel.

Martin Schrahn